Mit offenem Herzen gelesen – und Mut verschenkt

Sonntag, es ist der 15.06., der Tag nach meiner Lesung und ich habe das dringende Bedürfnis dieses Event mit Euch zu teilen. Es war wahrlich ein Event. Die Fachambulanz für Sucht feierte ihr 50jähriges und das ONS-Zentrum (DER Alkoholfreie Treff in Neuss) das 40jährige. Gemeinsam wurde ein großes Sommerfest gefeiert. Es wurde Live-Musik gespielt, das PrEventmobil mit alkoholfreien Cocktails war vor Ort, es gab eine tolle Showeinlage vom Circus, es wurde natürlich auch gegrillt, ein Kuchenbuffet stand auch bereit und dann meine Lesung.

Lampenfieber und Vorfreude

Die Stunden vor der Lesung sind für mich immer mit sehr viel Aufregung verbunden. Im Vorfeld fanden mit der Fachambulanz und dem Leiter des ONS-Zentrums einige Treffen statt, um das Sommerfest und meine Lesung gut vorzubereiten. Vorfreude schon seit Wochen. Ich teilte in den gemeinsamen Gesprächen mit, welche Textpassagen ich lesen werde und einige Fragen wurden vorbereitet. In meinem Buch hatte ich die entsprechenden Abschnitte markiert und zuhause las ich diese Abschnitte noch einige Male. Eine gute Vorbereitung ist ja angeblich schon die halbe Miete und meine Freude wächst. Doch am Abend vor der Lesung – ich sitze auf meiner grünen Couch – gesellte sich der „Zweifel“ und die „Unsicherheit“ neben mir. „Soll ich doch besser andere Passagen lesen? Es könnten vielleicht auch nicht die richtigen Abschnitte sein?“ Dann ging ich die Antworten zu den Fragen noch einmal durch und auch hier wurde ich dann plötzlich unsicher. Ich begann mir neue Antworten zu überlegen. Wenig später fand ich dann auch diese unpassend. Fand auf einmal alles unpassend! So verbrachte ich den gesamten Abend auf meiner grünen Couch mit „Zweifel“ und „Unsicherheit“. Irgendwann bin ich dann ins Bett und am nächsten Morgen beschloss ich, einfach meinem Gefühl zu vertrauen. Die Sache war dann schon mal klar. Aber dann ging es weiter.

10:15 Uhr, um 11 Uhr sollte die Lesung beginnen. Es meldet sich heftiges Herzklopfen und zwar so richtig, bis zur Halsschlagader. Neben dem Herzklopfen bekam ich dann noch feuchte Hände und hatte das starke Bedürfnis hin und her gehen zu müssen. An Sitzen war gar nicht zu denken. Ich versuchte mich immer wieder auf meine Atmung zu konzentrieren, doch so richtig wollte es mir nicht gelingen. So begann ich die Thymusdrüse zu klopfen. Das half ein wenig.

Das erste Mal mit Mikrofon

Wenig später sitze ich mit meinem Buch in der Hand vor dem Publikum. Direkt unterhalb von mir – ich sitze mit Stuhl auf einem Podest – sehe ich den Landrat H. -J. Petrauschke in der ersten Reihe sitzen, dann schweifte mein Blick weiter. Ich sehe nur freundliche Gesichter. Stille im Saal. Alle warteten und ich habe einen Kloß im Hals. Bis das auf einmal der Leiter des ONS-Zentrums mir das Mikrofon reichte. Ich klopfte erneut meinte Thymusdrüse, schlug dann mein Buch auf und begann zu lesen:

„Wenn es einen Gott gibt, dann gab es ihn in den ersten Stunden der Kapitulation. Ich bin allein zuhause. Mein Sohn bei seiner liebsten Oma. Zeit zum Trinken, ungehemmt. Sitze in der Küche und öffne meine erste Bierflasche. Wieder ein Tag, der mit Alkohol beginnt und wahrscheinlich auch so enden wird. Ich klappe meinen Laptop auf, öffne mein E-mail-Postfach und sehe eine Nachricht von meiner Mutter. Doppelklick. Ich lese die Mail und mir stockt der Atem. Einige Worte wiederholen sich automatisch in meinem Geiste: „Ich schalte das Jugendamt ein und nehme dir deinen Sohn weg, wenn du nicht aufhörst zu trinken.“

Es herrschte eine gebannte Stille unter den Zuhörer*innen , alle lauschten meinen Worten und ich? Immer wenn ich diese Zeilen lese, sehe ich mich tatsächlich noch sitzend am Laptop, zusammengekauert und unter Tränen. Aber das ist jetzt 14 Jahre her. Damals habe ich die e-mail von meiner Mutter wenige Tage später gelöscht, wollte sie nicht mehr in meinem e-mail-Postfach gespeichert wissen. Heute bin ich für diese Drohung meiner Mutter zutiefst dankbar.


Ich am PrEventmobil und Coconut Kiss in der Hand

Begegnungen – Reaktionen – Gespräche

Des öfteren habe ich von verschiedenen Autor*innen gehört, dass die Begegnungen mit den Leser*innen einst der schönsten Geschenke überhaupt seien, Und ja, so ist es. Nach der Lesung kam eine Frau auf mich zu, unter ihrem Arm mein Buch, das sie wohl schon vor meiner Lesung gekauft hatte. Sie bat mich um eine persönliche Widmung – und so kamen wir ins Gespräch.

Ich krieg es gar nicht in mein Hirn, dass eine Frau extra zu meiner Lesung kommt, mit dem schon gekauften Buch und sich von mir eine Widmung wünschte. Ich war total gerührt. Es berührt mich immer noch. Ich danke dieser Frau von Herzen – auch dafür, dass sie mir so einiges anvertraut hat.

Bei diesem einem Gespräch blieb es nicht. Ich durfte so viele berührende Begegnungen erleben – so viele stille, dankbare ‚Dankeschöns‘, die direkt in mein Herz wanderten.

Abends sitze ich auf meiner grünen Couch – meine kleine Wiese des Rückzugs – und lasse alles nachklingen wie ein sanftes Lied. Ich fühle mich reich beschenkt. Und ich hoffe von Herzen das ich auch etwas schenken konnte: Mut. Zuversicht. Und die tiefe Gewissheit:

Es ist möglich – glücklich alkoholfrei zu leben.

Ich freue mich auf die nächste Lesung und die ist nämlich schon Ende Juni in Gut Zissendorf. Ob ich kurz vorher auch wieder so aufgeregt sein werde? Schau’n wir mal!

Auf bald,

Eure Heike

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