aus meinem Buch: Der Alkohol, das Leben und Ich
Es gab noch oft Tage, an denen ich mich schwer fühlte, an denen sich Dunkelheit in mir breit machte. Ein Glas Wein wäre die Erlösung gewesen, zumindest für diese Zeit, für diese Stunde. Doch jedes Mal erinnerte ich mich an mein Mantra und wusste, dass ich für diese Stunden nicht das aufgebe, was ich langfristig in meinem Leben haben wollte. Daher gab es nie Alkohol in meiner Wohnung. Das war und ist Gesetz, eins meiner wenigen Gesetze in meinem Leben.
Dazu möchte ich dir eine kleine Gegebenheit erzählen:
Mein Sohn hatte einige Jahre einen sogenannten Babysitter. Babysitter ist absolut nicht die treffende Bezeichnung, aber welches Wort gibt es sonst. Mein Sohn war längst dem Baby-Alter entwachsen und dieser junge Mann, der 1 x in der Woche für meinen Sohn da war, war daher eher wie ein großer Bruder. Mein Sohn fand dies immer cool. Die beiden verstanden sich prächtig. Mike war ein Geschenk für unsere kleine Familie. Doch die sogenannte „Babysitterzeit“ ging langsam vorbei. Mike kam nur noch gelegentlich, wenn mein Sohn danach fragte. So auch an diesem Abend.
Ich denke immer wieder gerne an diesen Winterabend zurück. Ich kam von einer Veranstaltung. Mein Sohn war bereits in seinem Bett eingeschlafen. Mike saß im Wohnzimmer und schaute sich seine Aufzeichnungen für seine bevorstehende Abschlussprüfung an.
„Hi Mike“. Mike lächelte mich an, bückte sich und holte aus seiner großen Tasche eine Weinflasche.
Er stand auf und gratulierte mir nachträglich zum Geburtstag.
Ich schaute Mike an, dann die Weinflasche.
Für einen Moment war ich sprachlos, „danke Mike“. Wie angewurzelt stand ich vor ihm. Dann plötzlich, ohne lange zu überlegen, schoss es wie aus einer Pistole aus mir heraus:
„Mike, vielen vielen Dank für die Flasche Wein, aber ich kann sie leider nicht annehmen.
Mike schaute mich irritiert an.
„Ich bin trockene Alkoholikerin und ich möchte keinen Alkohol mehr in meinem Zuhause.“
Stille
Wir standen uns gegenüber und ich erschrocken über meine Worte. Ich setze mich in einen Sessel, Mike tat es mir nach. Ich merkte, dass ich ein wenig zitterig wurde, wie so oft, wenn ich sehr aufgeregt und berührt bin.
„Danke Heike, für deine Ehrlichkeit“. Wieder trat Stille ein. Es war eine angenehme Stille, es war eine Stille die etwas erzählte. Was aber dann kam, war ein riesen Geschenk für mich. „Heike, danke noch einmal für deine Ehrlichkeit, ich möchte dir auch etwas von mir erzählen“. Jetzt war ich komplett irritiert und im nächsten Moment hörte ich wie Mike sagte: „ich bin homosexuell“
Dieses Erlebnis trage ich in meinem Herzen, es prägte mich positiv. Es ermutigte mich, mich offen und ehrlich zu zeigen, auch auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Was gibt es für ein schöneres Geschenk, als wenn zwei Menschen, die sich eigentlich gar nicht kennen, tief begegnen?
Wieso fällt es uns so schwer, unsere Maske abzulegen und uns nackt zu zeigen? Wieso zeigen wir uns nicht wahrhaftig, indem was wir denken und fühlen? Wie oft wollen wir „gut dastehen“, fehlerlos, perfekt, alles im Griff haben. Was ist dabei, sich einzugestehen, wenn wir nicht Gefühle beherrschen können? Kann nicht einmal alles da sein? Leben was ist? Einmal sagen was ist? Unser Leben könnte so viel ehrlicher und tiefer sein, wenn wir unsere Maske fallen lassen. Wie kann eine ehrliche Begegnung stattfinden, wenn etwas zurückgehalten wird?
Wieso fällt es uns so schwer, unsere Masken abzulegen? Wieso tun wir es nicht? Vielleicht weil wir nicht verletzt werden wollen? Weil wir Angst haben, gesehen zu werden? Weil dann vielleicht auch unsere „hässliche“ Seiten ans Tageslicht kommen?
Wir sind einfach Menschen, einfach und kostbar zu gleich. Alles gehört zum Leben dazu. ALLES.
Ich danke dir, dass du dir für diese kleine Geschichte Zeit genommen hast.
Alles Liebe für dich – love, joy & peace
Deine Heike
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