Häufig werde ich in Gesprächen gefragt, was die Ursachen für eine Abhängigkeit sind. Und was trägt dazu bei, Alkohol weiter zu konsumieren. Die eine Ursache gibt es nicht, die Entstehung ist sehr komplex und bis heute existiert kein einheitliches Erklärungsmodell. Trotzdem versuche ich es Dir verständlich aufzuzeigen.
Da die Abhängigkeitsentwicklung durch multifaktorielle Prozesse, Dispositionen und Bedingungen bestimmt wird, eignet sich das „Modell“ nach George L. Engels. Er betrachtete den Menschen als leib-seelische Ganzheit, d. h. die körperlichen und psychischen Vorgänge sind untrennbar miteinander und mit den Beziehungen verbunden, in die jedes menschliche Wesen von Geburt an eingebettet ist. Mit Hilfe dieser Betrachtungsweise lässt sich am besten die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit erklären, denn nicht nur psychischen Störungen stehen in einer dynamischen Wechselwirkung von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren.
Das heißt, eine psychische Störung kann nicht allein durch ein Faktorenbündel erklärt werden. Ferner unterscheiden sich die verschiedenen Faktoren darin, in welcher Gewichtung sie untereinander wirken. Das ist wesentlich! Weiterhin sind störungsspezifische Besonderheiten zu beachten, wie dies zum Beispiel bei der Droge Alkohol üblich ist. Der Alkoholkonsum hat Auswirkungen auf die Botenstoffe, Dopamin, GABA, Glutamat und Noradrenalin.
An der Entstehung der Alkoholabhängigkeit sind drei Teufelskreise beteiligt.
- Intrapsychischer Teufelskreis
- Neurobiologischer Teufelskreis
- Psychosozialer Teufelskreis
Die drei sogenannten Teufelskreise beinhalten weitere spezifische Modelle und Theorien, die wiederum bei der Entstehung herangezogen werden können. Schon an dieser Stelle wird deutlich, wie komplex eine Suchtentstehung ist und weshalb es für viele Betroffene schwer ist, sich aus diesen zu befreien. Und zwar nicht nur aus einem, sondern häufig aus allen dreien Kreisen.
Inhaltsverzeichnis
Der intrapsychische Teufelskreis
Er beinhaltet den lerntheoretischen Ansatz als Erklärungsmodell. Dieser geht davon aus, dass süchtiges Verhalten, wie jedes andere Verhalten, ein Erlerntes ist. Der Alkoholkonsum führt biochemisch zur Aktivierung des (mesolimbischen) Belohnungssystems. Das Belohnungssystem dient der Bewertung deiner Gefühlslage. Durch die Einnahme von Alkohol wird dein Dopaminspiegel erhöht und dies fühlt sich für dein Gehirn einfach nur gut an! Lerntheoretisch stellt dies also für dein Gehirn eine Belohnung dar. Wir haben z. B. gelernt, nach Feierabend ein „Gläschen Wein zu trinken“ als Belohnung für den Arbeitstag. Nach dem ersten Glas Wein fühlen wir uns wohl und entspannt.
Alkohol wird gerne als Hilfsmittel eingesetzt, um die wirklichen psychologische Grundbedürfnisse zu befriedigen. Psychologische Grundbedürfnisse (nach Klaus Grawe), die wir zum Wohlfühlen brauchen: Bindung, Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung sowie Selbstwert.
Wichtig für den weiteren Alkoholkonsum ist, die zu erwartende Wirkung des Alkohols. Sie spielt eine zentrale Bedeutung. Eine Wirkungserwartung kann als eine Grundannahme bezeichnet werden. Eine Grundannahme ist z. B. „Alkohol hilft immer“. Vielleicht kennst du auch diesen Spruch, „komm trink erst mal einen, das hilft“. Grundannahme: Alkohol hilft sich wohlzufühlen. Wohlfühlen! Wer will sich nicht wohlfühlen, geborgen fühlen?!
Ferner beinhaltet das intrapsychisches Erklärungsmodell tiefenpsychologische Konzepte. Diese nehmen an, dass zum Beispiel durch frühkindliche Erfahrungen die kindliche Entwicklung gestört wird, sodass Fehlentwicklungen im späteren Leben auftreten können, die eine Alkoholsucht begünstigen.
Die Genetik hat ebenfalls Einfluss. Anhand von einer Vielzahl von Zwillings- und Adoptionsstudien konnte aufgezeigt werden, dass bei der Entstehung einer Alkoholabhängigkeit ein genetischer Einfluss von 40 % besteht. Heute geht man jedoch davon aus, dass verschiedene Vererbungsformen z. B. eine erhöhte Alkoholverträglichkeit eine Abhängigkeitsentwicklung beeinflussen können.
Der neurobiologische Teufelskreis
Dieser beinhaltet Erklärungsmodelle, die im Wesentlichen durch drei Mechanismen die Entstehung erklären:
- die Toleranzentwicklung
- ein Ungleichgewicht verschiedener Neurotransmitter im Belohnungssystem des Gehirns
- durch einen wiederkehrenden Alkoholkonsum werden Gene aktiviert, die im Gedächtnis dauerhaft Spuren hinterlassen.
Zur Toleranzentwicklung bzw. -steigerung tragen zwei Faktoren bei: zum einen eine zwei-Phasen-Wirkung des Alkohols, die daraufhin weist, dass im Anschluss der angenehmen Wirkung des Alkoholkonsums eine unangenehme Nachwirkung folgt. Diese ist zwar weniger ausgeprägt, jedoch hält sie länger an. Durch eine wiederholte Einnahme bauen sich die unangenehmen Nachwirkungen immer mehr auf. Ein Alkoholkonsument benötigt daher immer größere Alkoholmengen, um den negativen Effekt entgegenzuwirken. Der zweite Faktor, der zur Toleranzsteigerung beiträgt, sind die Alkoholverarbeitungsprozesse in der Leber.
Weiterhin beinhaltet der neurobiologische Teufelskreis das Postulat vom sog. „Suchtgedächtnis“. Das Suchtgedächtnis ist für immer im Gehirn verankert und für das Bewusstsein schwer zugänglich. Es wird angenommen, dass sich durch den wiederholten Alkoholkonsum in bestimmten Situationen ein Erinnerungsnetz im Gehirn ausgebildet hat. Befindet sich ein Alkoholabhängiger in solch einer Situation, kann im Gehirn das Erinnerungsnetz ausgelöst werden. Dies kann „unbewusst“ zur Folge haben, Alkohol zu konsumieren.
Der psychosoziale Teufelskreis
Dieser enthält Erklärungsmodelle, die den sozialen Kontext mit einbeziehen. In den westlichen Industriestaaten ist Alkohol sehr verbreitet. Der Konsum ist gesellschaftlich als fester Bestandteil des Sozialverhaltens integriert und in Deutschland bestimmt die Droge Alkohol den Alltag. In den unterschiedlichsten Lebenswelten zeigt sich der Alkoholkonsum und es lassen sich vielfältige Grundeinstellungen sowie Verhaltensmuster finden. Sie stehen in Wechselwirkung mit dem Alkoholkonsumenten und können eine Alkoholabhängigkeit begünstigen. Die Alkoholindustrie tut ihr Übriges dazu. Was wir in Deutschland vorfinden ist eine gestörte Trinkkultur, eine pathologische Trinkkultur. Die makro-sozialem Umweltbedingungen (Massenmedien, Verfügbarkeit und der Preis der Droge) haben ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf den Alkoholkonsum.
Auch psychosoziale Stressfaktoren durch Umwelteinflüsse können eine Alkoholabhängigkeit verstärken. So weisen neurowissenschaftliche Untersuchungen auf Zusammenhänge zwischen den sozialen Faktoren und psychische Funktionen im Gehirn hin.
Ferner beinhaltet der psychosoziale Teufelskreis den systemischen Erklärungsansatz. Dieser Ansatz sieht die Entstehung in einer veränderten Interaktion mit seiner Umwelt. Es würde vielleicht zu weit führen, wenn ich auch noch hier an dieser Stelle diesen systemischen Ansatz ausführe. Ich versuche in einen der nächsten Beiträge den systemischen Ansatz aufzeigen.
Zusammenfassung:
Die Vielfalt der Faktoren und Dispositionen beeinflussen sich gegenseitig als Regelkreis, die zusammen in einem unterschiedlichen Ausmaß wirken. Der intrapsychische Kreis erklärt die innerhalb der Psyche eines Betroffenen vorgehenden Prozesse, die sich auf falsche Erwartungen und Einstellungen, mangelnde Bewältigungsstrategien und auf eine unklare Selbstwahrnehmung beziehen.
Der neurobiologische Kreis beschreibt die biochemischen Veränderungen innerhalb des Organismus.
Der psychosoziale Teufelskreis zeigt die Interaktionen zwischen den sozialen Kontakten des Betroffenen auf sowie die Beeinträchtigungen durch fehlende hilfreiche Unterstützung.
Ich hoffe dieser Beitrag war ein wenig hilfreich. Wenn Du magst, hinterlasse mir gerne ein Nachricht. Ich freue mich.
Herzliche Grüße
Heike
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